Reform der Reform, Teil 2. Oder: Wie besser?

Es hat etwas vom klassischen Sommerloch:
Tirols Landeshauptmann Anton Mattle nutzt die „Pressestunde“ für eine überraschende Einsicht. Er gesteht ein, dass die unter Türkis-Blau durchgezogene Kassenreform nicht die großen Verbesserungen gebracht hat, die einst versprochen wurden – federführend wohlgemerkt von seinem Parteikollegen Sebastian Kurz.

Wir erinnern uns:
Die sogenannte „Patient:innenmilliarde“ wurde groß angekündigt – gefunden wurde sie nie. Was damals schon absehbar war, scheint nun auch bei Mattle angekommen zu sein. Bemerkenswert ist dabei weniger die Einsicht selbst als vielmehr seine Konsequenz daraus: Der Blick zurück. Seine Lösung heißt Rückkehr zum alten föderalen System. Denn früher, so die Erzählung, war alles besser.

Was gerne vergessen wird: Die Reform wurde nie fertig
Was Mattle dabei geflissentlich ausblendet: Die Kassenfusion wurde nie vollständig umgesetzt. Noch heute existieren neun unterschiedliche Vertragssysteme – Überbleibsel aus der Zeit der Gebietskrankenkassen, die regional unabhängig agierten. Das führte und führt weiterhin dazu, dass Gesundheitsleistungen je nach Bundesland variieren.
Mit anderen Worten: Es macht (noch immer) einen Unterschied, ob man in Wien oder in Oberösterreich zur Ärztin geht – obwohl beide theoretisch von der ÖGK abgedeckt sind. Einheitlich ist hier wenig. Was aber sehr wohl zentralisiert wurde, ist die Entscheidungsstruktur: Viele Kompetenzen wurden nach Wien verlagert, oft ohne klare Verantwortlichkeiten vor Ort zu schaffen. Lokale Vertretungen agieren heute ohne echte Entscheidungsbefugnis, dafür mit dem Auftrag, Rückmeldungen nach Wien zu bringen – wo dann wiederum zentral entschieden wird. Die Bereitschaft das auch so zu machen ist – wie man hinter vorgehaltener Hand von verschiedenen Stellen aus der ÖGK hört – kaum vorhanden. Im Gegenteil wird auch hier mehr der vermeintlich guten alten Zeit nachgeweint, anstatt mitzuhelfen, dass es überall gleich gute Standards gibt.

Die Rolle der Ärztekammer – Malocher des Föderalismus
Einen eigenen Part spielt die Ärztekammer – traditionell föderal organisiert und nicht eben als Reformmotor bekannt. Ihre Rolle war es bisher, eigenständig mit den jeweiligen Gebietskrankenkassen Verträge auszuhandeln. Fällt diese regionale Kompetenz durch eine bundesweit einheitliche Regelung weg, verlieren auch die einzelnen Länderkammern massiv an Einfluss innerhalb der ÖÄK. Kein Wunder also, dass die Bereitschaft, einen österreichweiten Gesamtvertrag zwischen ÖGK und ÖÄK zu verhandeln, bislang mehr behauptet als real gelebt wird.

Back to the roots – aus durchsichtigen Gründen
Und wieder zurück zu Anton Mattle. Die Forderung nach einer „Reform der Reform“ klingt zunächst nach staatspolitischer Verantwortung. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Dahinter steckt allzu durchschaubares politisches Kalkül. Viele Landeshauptleute – vor allem aus ÖVP-dominierten Bundesländern – haben noch heute engen Draht zu den regionalen Ärztekammern. Damals funktionierte vieles auf dem kurzen Weg. Entscheidungen konnten informell und schnell getroffen werden. Einheitliche Rahmenbedingungen stören da nur.
Dazu kommt ein weiterer Grund: Die Hoffnung, strukturelle Versorgungsdefizite – für die eigentlich die Länder zuständig wären – möglichst unauffällig auf die Kassen abzuwälzen. Motto: „Wir haben ein Problem – die ÖGK soll’s richten.“
Ein besonders anschauliches Beispiel ist die Krankenhausfinanzierung: Die Sozialversicherung übernimmt über 40% der Kosten, bekommt aber kein entsprechendes Mitspracherecht. Ein System, das man aus Sicht mancher Landeshauptleute durchaus auf weitere Bereiche ausrollen könnte – Hauptsache Geld, aber bitte ohne Mitsprache.

Gesundheitspolitik auf dem Rücken der Versicherten
Am Ende geht es um mehr als um Systemkritik oder Reformideen: Es geht um die strategische Positionierung für die anstehenden Verhandlungen zur nächsten Gesundheitsreform. Die Länder suchen nach Verhandlungsmasse, nach Hebeln im Machtgefüge. Dass dabei – wieder einmal – Politik auf dem Rücken der Versicherten gemacht wird, scheint eingepreist zu sein. Ob das Mattle & Co überhaupt stört? Man darf zweifeln.

Was also machen?
Grüner Ansatz ist es endlich dafür zu sorgen, dass es einheitliche Standards in Österreich gibt, so wie das auch bei den anderen Versicherungen wie der SVS oder der BVA der Fall ist. Der Vertrag zwischen ÖGK und ÖÄK muss einheitlich sein, soll aber was die Ausgestaltung der Honorare anbelangt für bestimmte wenige Regionen auch die Möglichkeit einer leichten Abweichung möglich machen. Da geht es vor allem um Regionen wie Vorarlberg oder Salzburg Stadt bzw. Innsbruck, wo die Kosten deutlich anders sind als im Rest Österreichs. Das kann entweder über einen Aufwertungsfaktor, der durch die Statistik Austria unabhängig erhoben wird, abgegolten werden oder kann auch ohne Einfluss auf die Honorarhöhen zu nehmen durch eine Sonderzahlung quartalsweise abgegolten werden. Gleichzeitig muss ein neuer Gesamtvertrag auch mehr auf sinnvolle Pauschalierungen setzen, was weniger Bürokratie und weniger Einzelfallabrechnungen bedeutet.

Ebenfalls einheitlich muss 1450 gestaltet werden.
Das bedeutet unter anderem, dass am anderen Ende der Leitung oder des Chats bei 1450 ein unterprofessionelles und vor allem geschultes Team aus Mediziner:innen, Sanis und Pflegekräften sitzt. Es geht nicht darum nur Termine in PVE oder Ordinationen zu verteilen, sondern auch darum Abklärungen vorzunehmen. In der Schweiz gibt es ein solches System schon lange, und es funktioniert. Was es aber dafür auch braucht: eine Ausbildung für jene, die am Telefon sitzen. Ganz nach dem Schweizer Vorbild darf das aber kein Ärztekammer-Wochenend-Weiterbildungstermin sein, sondern braucht Umfang und ein anständiges Curriculum und muss dafür sorgen, dass Telemedizin vor allem Medizin ist.

Ebenfalls Thema muss die überregionale Planung in Sachen Gesundheit werden.
Theoretisch können Bundesländer gemeinsam ihre Gesundheitseinrichtungen und Ausstattungen planen, in der Praxis macht das kein einziges Bundesland mit den anderen. Das Ergebnis sehen wir am eindringlichsten in der Ostregion. Wien versorgt Burgenland und NÖ mit, die aber beide ihre eigenen Kapazitäten ausbauen. Statt gemeinsamer Planung, Effizienz und beste Versorgung für die Patient:innen gibt es parallele Strukturen und wenig Gemeinsames. Würden die drei Bundesländer in einer Art Versorgungsregion Ost gemeinsam planen und umsetzen, wäre das nicht nur effizienter sondern sicher auch eine Steigerung bei der Versorgung der Bevölkerung, wenn Bedarf und Bedürfnisse zusammen erhoben und mitbedacht werden.

Am Ende braucht es aus Grüner Sicht auch klare Entscheidungsstrukturen.
Das bedeutet aber auch ein Ende von Orts- und Regionalkaisertum. Natürlich braucht es den Input aus den Regionen, aus den Gemeinden und Bezirken. Aber was es nicht mehr braucht: viele die mitreden und Geld ausgeben wollen, während niemand bereit ist Verantwortung am Ende zu übernehmen. Die Geldströme müssen geklärt werden, transparenter gestaltet werden. Dazu braucht es klare und verbindliche Ziele, Daten und zentrale Verantwortung.

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