Ärztekammer, Föderalismus und die Zukunft unseres Gesundheitssystems

Die Debatte rund um die Rolle der Ärztekammern in unserem Gesundheitswesen hat in den letzten Wochen an Schärfe gewonnen. Zuerst ausgelöst durch die Debatte um eine mögliche Rückabwicklung der Kassenreform des Jahres 2018, jetzt durch die Berichte des Rechnungshofes über den Flickenteppich an Verträgen im niedergelassenen Bereich und die Blockadehaltung der Kammern wird deutlich: Unser Gesundheitssystem steht an einem Scheideweg.

Das Beispiel Oberösterreich:
In einer Aussendung der Ärztekammer Oberösterreich versucht diese am 17. August den Eindruck zu erwecken, es ginge ausschließlich um die bestmögliche Versorgung der Bevölkerung. Wer aber genauer hinschaut, erkennt schnell: Allzu oft werden notwendige Reformen verzögert oder blockiert – und zwar nicht im Sinne der Patient:innen, sondern zum Machterhalt von Funktionär:innen.

Seit Jahren fordern wir Grüne einen bundesweit einheitlichen Honorarkatalog. Denn es ist schlicht nicht hinnehmbar, dass Leistungen in einem Bundesland bezahlt werden, in einem anderen aber nicht. Warum soll eine Muttermalkontrolle in Wien Kassenleistung sein, während Patient:innen in Niederösterreich oder der Steiermark dafür 50 bis 60 Euro selbst zahlen müssen? Warum können Labore in der Steiermark bestimmte Basisdiagnosen nicht abrechnen, die in allen anderen Bundesländern selbstverständlich vergütet werden? Diese Unterschiede haben nichts mit medizinischer Qualität zu tun – sie sind Ausdruck eines Systems, das durch regionale Sonderinteressen gelähmt ist. Wer gleiche Beiträge einzahlt, muss auch Anspruch auf die gleichen Leistungen haben. Punkt. Dafür braucht es aber endlich einen bundesweit einheitlichen Vertrag, ohne Extrawürste.Blockaden auf Kosten der Patient:innen. Genau hier setzt jetzt der Rechnungshof mit seiner Forderung an, doch eine Entmachtung der Länderkammern in der Ärztekammer zu prüfen. Diese müssten einem Gesamtvertrag für Österreich aktiv zustimmen. Wenn aber die Länderkammern zukünftig keine eigenen Verträge mehr verhandeln, dann haben diese aus Sicht vieler Mediziner:innen endgültig keine Existenzberechtigung mehr. Ein Horroszenario für selbstbewusste Kammerfunktionäre. Sage übrigens nicht ich sondern viele damit befasste Menschen im System.

Währenddessen zeichnen die Funktionär:innen gerne das Bild einer unermüdlichen Standesvertretung, die im Interesse der Bevölkerung kämpft. Die Realität sieht halt anders aus. Immer dann, wenn es um Modernisierungen und internationale Standards geht, kommt aus der Kammer reflexartig ein Nein. Einige wenige Beispiele:

  • Impfen in Apotheken: seit Jahren in vielen Ländern selbstverständlich, hierzulande blockiert.
  • Wirkstoffverschreibung: medizinisch sinnvoll, international üblich, hier verweigert.
  • Primärversorgungseinrichtungen (PVE): statt den Ausbau zu fördern, hat die Kammer jahrelang gebremst.
  • Zusätzliche Kompetenzen für nichtärztliche Berufe: statt auch hier international übliche Arbeitsteilungen zu ermöglichen und Kompetenzen anzuerkennen wird gemauert wo es nur geht

Diese Blockadehaltung ist kein Randthema. Sie verhindert Verbesserungen, die für Patient:innen ganz konkret spürbar wären: kürzere Wartezeiten, wohnortnahe Versorgung und eine moderne Aufgabenverteilung zwischen den Gesundheitsberufen.

Back in time als Lösung?
In ihrer Aussendung beklagt die OÖ Ärztekammer einen angeblichen „Molloch“ ÖGK und fordert, Kompetenzen wieder stärker in die Bundesländer zu verlagern. Doch genau dieser Föderalismus ist das Problem. Er führt zu neun unterschiedlichen Verträgen, neun verschiedenen IT-Systemen, neun Varianten der Gesundheitsplanung – und letztlich zu Ungleichbehandlung der Patient:innen. Der Traum von der guten alten zeit ist halt nicht wahr, sondern das Verklären eines Zustands, der uns erst Recht in die Bredouille gebracht.

Der Rechnungshof kritisiert genau deshalb diese Zersplitterung seit Jahren, ebenso das IHS und mehrere Landesrechnungshöfe. Mehr Föderalismus würde nicht weniger Probleme bringen, sondern mehr. Dieses „back in time“ von dem die oö Kammer träumt wäre also nur ein Prolongieren von Problemen bzw. bedeutet am Ende ein Anfeuern derselben.

Ärzt:innen sind nicht gleich Funktionär:innen
In vielen Gesprächen mit Mediziner:innen spüre ich, dass die Haltung ihrer Funktionär:innen keineswegs den Willen der gesamten Ärzteschaft widerspiegelt. Viele Ärzt:innen sehen sehr wohl, dass unser Gesundheitssystem dringend ein Update braucht – und sind offen für Veränderungen. Gerade dann wenn es um einheitliche Standards geht, wenn es um weniger Bürokratie dank Pauschalierungen in den Verträgen geht, wenn es ein Ende der Einzelpositionsabrechnungen geht oder darum mehr auf angestellte Verhältnisse umzusteigen. Umso unverständlicher ist es, wenn sich Funktionäre regelrecht mit Händen und Füßen gegen jede Modernisierung stemmen.

Die Verantwortung liegt jetzt bei der Politik.
Wir dürfen uns nicht länger von Partikularinteressen einzelner Standesvertretungen oder Länder ausbremsen lassen. Notfalls braucht es gesetzliche Änderungen, um Blockaden zu überwinden und einen bundesweit einheitlichen Gesamtvertrag zwischen ÖGK und Ärzt:innen endlich Realität werden zu lassen.

Es geht dabei nicht um Machtfragen, wie manche Funktionär:innen es gerne darstellen – es geht um Fairness, Versorgungssicherheit und Transparenz. Die Menschen in Gramatneusiedl, am Achensee oder in Attnang-Puchheim haben das gleiche Recht auf gute Gesundheitsversorgung. Und genau dafür braucht es endlich mutige Entscheidungen. Nötigenfalls auch gegen die Kammer.

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