Warum Österreich dringend eine Föderalismusreform braucht

Ich bekomme regelmäßig viele Mails aus der Bevölkerung, in denen mir Ideen, Überlegungen, aber auch Kritik und manchmal klare Ablehnung unserer grünen Vorschläge mitgeteilt werden. Im Normalfall beantworte ich diese Mails immer persönlich – nur in jenen Fällen, in denen sich die Absender:innen im Ton vergreifen oder ins Haltlose abdriften, erspare ich mir meistens eine Antwort.

Gestern habe ich wieder ein sehr spannendes Mail zu meinem Vorschlag erhalten, dass es weniger Föderalismus in Österreich geben sollte. Der Absender ging davon aus, dass wir in Österreich keinen echten Föderalismus hätten und dass der angeblich vorhandene Zentralismus dafür sorgt, dass wir in zentralen Fragen schlecht dastehen. Diese Behauptung hat mich dazu veranlasst, genauer auf das Thema einzugehen und einige Missverständnisse klarzustellen.

Ist Österreich überhaupt ein föderaler Staat? Die Behauptung, dass Österreich kein föderaler Staat sei, ist falsch. Punkt. Österreich ist laut Verfassung ein föderaler Bundesstaat mit neun Bundesländern, die über weitreichende Kompetenzen verfügen – insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge. Dass der Bund den Großteil der Steuern und Abgaben einhebt, bedeutet nicht, dass die Länder keine Verantwortung tragen oder keine eigenständigen Entscheidungen treffen können. Im Gegenteil: Die Länder haben in vielen Bereichen eine zentrale Rolle und nutzen ihre Autonomie oft auf eine Weise, die wenig zur Effizienz oder Einheitlichkeit beiträgt.

Ein leider gutes Beispiel dafür ist die Gesundheitsversorgung. Jedes Bundesland plant eigenständig und schafft zusätzliche Kapazitäten, ohne vorhandene Strukturen effizient nutzen zu müssen. Das führt dazu, dass jedes Bundesland eigene Softwarelösungen verwendet und bundesländerübergreifende Planungen bei Kapazitäten und Schwerpunkten oft nur auf dem Papier existieren. In der Praxis fehlen rechtliche Verpflichtungen zur Umsetzung solcher Planungen, weshalb sie häufig ignoriert werden. Es gibt sogar Bundesländer, in denen der regionale Strukturplan Gesundheit – das zentrale Planungsinstrument – nicht einmal öffentlich gemacht wurde. Das Ergebnis ist ein Flickenteppich an Regelungen und Systemen, der weder den Bedürfnissen der Bevölkerung noch den Anforderungen einer modernen Verwaltung gerecht wird.

Ein weiteres Beispiel ist die absurde Diskussion um das „Faxverbot“. Seit 2012 ist klar, dass Faxgeräte in der Verwaltung abgeschafft werden sollen – dennoch versuchen einige Länder immer wieder, den Bund davon zu überzeugen, weiterhin mit Faxgeräten zu arbeiten. Das zeigt eindrücklich, wie schwerfällig und rückwärtsgewandt manche Strukturen sind.

Auch im Jugendschutz zeigt sich die Zersplitterung unseres föderalen Systems: Während Jugendliche in Oberösterreich um 24:00 Uhr zu Hause sein müssen, dürfen sie in Niederösterreich und Salzburg bis 01:00 Uhr ausgehen. Und warum ist das so? Weil in OÖ die FPÖ die ÖVP in fast allen Fragen durch die Arena am virtuellen Nasenring zieht, und sich weigert eine bundesweit abgestimmte Strategie in dieser Frage zu fahren. Solche Unterschiede sind nicht nur unlogisch, sondern schaffen auch Verwirrung und Ineffizienz. Besonders absurd wird es im Grenzgebiet zwischen Niederösterreich und Oberösterreich: Dort können oberösterreichische Jugendliche in Niederösterreich legal unterwegs sein – aber sobald sie auf dem Heimweg nach Oberösterreich sind, handeln sie plötzlich illegal.

Diese Beispiele zeigen deutlich: Ein Wettbewerb der besten Ideen mag in der Theorie gut klingen – in zentralen Bereichen wie Gesundheit, Pflege oder Sozialhilfe funktioniert er jedoch nicht. Hier geht es nicht um Wettbewerb, sondern um gute Standards für alle Bürgerinnen und Bürger in Österreich. Es kann nicht sein, dass die Qualität der Versorgung davon abhängt, in welchem Bundesland man lebt. Die Länder haben gezeigt, dass sie diese gleichen Standards nicht gewährleisten können oder wollen – oft aus ideologischen Gründen oder Eigeninteressen.

Blockadehaltung statt Fortschritt: Natürlich werden auch auf Bundesebene Fehler gemacht – das will ich gar nicht leugnen. Doch diese Fehler sind keine strukturelle Frage eines angeblich vorhandenen Zentralismus, sondern eine Frage der politischen Bewertung. Im Gegenteil entstehen viele Probleme gerade durch die Blockadehaltung der Länder. Ein kleines Beispiel dafür ist die Geschichte rund um die Einführung des Facharztes für Kieferorthopädie: Dieser wurde einstimmig im Gesundheitsausschuss des Nationalrats beschlossen – ebenso einstimmig im Plenum des Nationalrats sowie im Gesundheitsausschuss und Plenum des Bundesrats. Dennoch wurde dieser Schritt durch Einsprüche von Landeshauptleuten innerhalb einer 6wöchigen Frist im Namen ihrer Bundesländer wieder aufgehoben. Zugegeben, die Geschichte ist keine große im Vergleich zum Reformstau in unserem Land, zeigt aber deutlich: Reformen scheitern nicht am Bund, sondern an einem Föderalismus, bei dem Partikularinteressen über das Gemeinwohl gestellt werden.

Und: auch bei der Verhandlung zum FAG (Finanzausgleich) zwischen Bund, Ländern und Gemeinden haben wir das auch recht gut gesehen. Wir Grüne haben den FAG nämlich für eine weitreichende Reform im Gesundheitswesen nutzen wollen, und haben dank Beharrlichkeit auch etliches umsetzen können. Dennoch war das Bremsen und Dagegenhalten der Länder ständiger Begleiter. Vor allem dort, wo wir Transparenz hineinbringen wollten oder Verbindlichkeit von Vereinbarungen eingefordert haben, war die Ablehnungsfront über Parteigrenzen hinweg allgegenwärtig. „Was soll das heissen, ihr wollt verbindliche und meßbare Ziele wie zusätzliche Gelder verwendet werden?“, war nicht selten eine der sinngemäß gestellten Fragen in diesem Prozess. Oder: „Wieso sollen wir uns da zu etwas verpflichten? Es ist alleine unsere Entscheidung wie Mittel eingesetzt werden.“, war auch nicht so selten sinngemäß zu hören.

Aber, was spricht eigentlich dagegen, einheitliche Pflegeschlüssel verbindlich umzusetzen? Was spricht dagegen, einheitliche Jugendschutzgesetze einzuführen? Was spricht dagegen, einheitliche Standards im Gesundheitsbereich zu schaffen und sicherzustellen, dass Spitäler eng miteinander abgestimmt arbeiten? Was spricht dagegen, eine verbindliche Gesamtstrategie für die Gesundheitsversorgung zu entwickeln, die Doppelgleisigkeiten beseitigt und vorhandene Mittel effizienter einsetzt? Die Antwort ist einfach: Nichts spricht dagegen – außer der Widerstand der Länder.

Ich bleibe dabei: Eine Föderalismusreform ist dringend notwendig. Diese Reform muss darauf abzielen, ineffiziente Strukturen abzubauen und klare Verantwortlichkeiten zu schaffen. Es braucht keine weitere Zersplitterung oder einen „Wettbewerb“, sondern eine stärkere verbindliche Koordination und klar definierte Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Der derzeitige Zustand schadet allen – und das muss sich ändern.

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