An diesem Wochenende hat er Geburtstag gefeiert – der Ort, an dem ich in meiner Jugend unglaublich viel Zeit verbracht habe. Das Gelände des Alten Schlachthofs in Wels war für mich jahrelang meine zweite, manchmal auch dritte Heimat. Dritte Heimat dann, wenn ich wieder einmal besonders viel Zeit nicht in der Schule, sondern im Café Urbann in der Bahnhofstraße verbracht habe. Aber das ist eine andere Geschichte – wobei sie letztlich doch mit dem Schlachthof verbunden ist.
Jedenfalls kam ich damals so mit 14 oder 15 das erste Mal auf das Gelände. Es gab dort ein Jugendzentrum – das D22 – und gleich daneben diese Konzertlocation. Dass es dort auch Proberäume gab, habe ich ehrlich gesagt erst Jahre später wirklich realisiert. Mir hat es dort gefallen; das Jugendzentrum war so anders, bot viel Freiraum für mich und andere, und ich habe dort schnell Freunde gefunden. Warum ich das so betone? Weil ich damals gerade aus dem Internat und der Schule in Dachsberg geflogen war und meinen schulischen Neustart in Wels hatte. Neue Schule, niemanden gekannt, davor jahrelang in Offenhausen gelebt und nur am Wochenende zu Hause gewesen – also kaum Anschluss in Wels gehabt. Da war dieses Jugendzentrum eine richtig gute Möglichkeit. Im Sommer dann Jugenddisco im Schlachthof: das erste Mal drinnen in den Hallen, die nochmals eine ganz andere Welt waren. Ehrlich gesagt: Beim ersten Mal habe ich mich ein bisschen fremd gefühlt. Für jemanden, der die erste Phase seiner Pubertät und des Erwachsenwerdens in der vermeintlichen Behütung eines zwar sehr liberalen, aber doch katholischen Internats erlebt hat, war das eine komplett andere Welt.
Ich habe den Schlachthof dann aber vor allem als Metal-Location erlebt. Meine Konzerterfahrungen bis dahin waren schon recht cool: Kinks, Joe Cocker. Aber dann, mit 15, mit halblangen, fettigen Haaren und dem Versuch einer Kutte, beim Konzert der Death-Metal-Pioniere Death gewesen. Miterlebt, wie Leute auf die Bühne klettern und dann hineinspringen. Aufgefangen werden – oder auch nicht. Ich erinnere mich noch, dass sich dabei jemand wehgetan hat. Bis dahin kannte ich das alles nur aus Erzählungen. Das anfängliche Fremdeln hat sich an diesem Abend gelegt. Auch wenn ich für mich feststellen musste: Death Metal ist eh nett, aber nicht ganz meins. Wobei: Ab und zu geht das schon.
Was der Schlachthof auch war: ein Ort zum Diskutieren und Sozialisieren, ein Platz, an dem wir miteinander gestritten und uns auch politisiert haben. Aber vor allem war er immer ein Ort, an dem ich ständig Neues entdeckt habe. Zuerst Punk und Hardcore, dann auch elektronische Musik bis hin zu Pop im besten Sinn. Die glorreichen Superformy aus Steyr habe ich live gesehen und liebe „Pop will save the world“ bis heute. 1993 habe ich im halben Schlachthof Sick of it All gesehen – mir hat tagelang alles wehgetan vom Moshen und Stagediven. Im Schlachthof habe ich auch die Hamburger Schule kennengelernt, Tocotronic und Blumfeld lieben gelernt. Selbst den von mir damals wenig geschätzten Hip-Hop habe ich langsam, aber doch als interessantes Genre entdeckt. Zuerst mit Texta, dann mit Leuten aus Wels, die sich bemüht haben, selbst Hip-Hop zu machen.
Und auch das war ziemlich spannend: die vielen Bands, die aus den Proberäumen im Schlachthof gekommen sind. Ich habe da die eine oder andere Vinyl noch zu Hause, die ich bis heute gerne höre. Nineday Wonder oder Flatline sind immer noch so etwas wie Hardcore-Helden für mich. Immer recht lustig waren die Gespräche mit manchen Freund:innen, wenn sie wieder erzählt haben, welche Projekte sie im Proberaum gerade am Start haben. Manche davon gab es auch zu hören und zu sehen – natürlich im Schlachthof. Andere haben es nie aus dem Proberaum auf die Bühne geschafft. Aber es wurde probiert und versucht, und auch hier hat der Schlachthof seinen Anteil daran, dass manches zumindest mal versucht wurde, was sonst nie probiert worden wäre.
Das Jugendzentrum D22, weshalb ich damals überhaupt auf das Gelände gekommen bin, gibt es leider nicht mehr. Die Kernzone, deren Vereinsvorstand ich seit einigen Jahren sein darf, hat die Nachfolge angetreten und sich in der Arbeit vom Betrieb eines Jugendzentrums umgestellt. Auch das oben erwähnte Café Urbann gibt es leider nicht mehr. Also das coole in der Bahnhofstraße gibt es nicht mehr, das nicht ganz so coole in der Schmidtgasse in Wels gibt es noch (und dort gibt es immer noch die besten Eier im Glas mit einem Buttersemmerl samt einem Asam mit Milch). Dafür hat der Schlachthof in einem kleinen Nebenkammerl der Bar einen Bereich eingerichtet, in dem noch Teile der Originalausstattung des Café Urbann sind. Das ist der Platz im Schlachthof, den ich heute bei jedem Besuch im Haus aufsuche und manchmal einfach stundenlang dort sitze. Weil dann zwei verschiedene positive Assoziationen in mir aufkommen: Schlachthof und Urbann.
Und ja, ich bin schon ein ziemlich sentimentaler Typ, der gerne an das zurückdenkt, was damals war. Ich würde sogar so weit gehen, dass ich von mir selbst behaupte, dass ich das Ganze komplett rosarot sehe und verkläre. Und doch: Ich gehe heute immer noch liebend gerne in den Schlachthof, auch wenn ich mir manchmal echt schwer tue, weil ich mit der Musik heute (was für ein überheblicher Spruch!) nicht so viel anfangen kann. Natürlich freue ich mich am allermeisten, wenn Sick of it All in den Schlachthof zurückkehren, so wie letztes Jahr beim SBÄM-Festival, und ich dann mit meiner Tochter in der dritten Reihe abmoshen kann. Und es ist wunderschön, mit Tocotronic „Jackpot“ beim Schlachthof-Open-Air singen zu können oder Patti Smiths „People have the power“ mit der Godmother of Punk mitzusingen. Und manchmal braucht man auch eine verzerrte Erinnerung daran, dass es früher halt besser war, auch wenn das nicht ganz stimmt. Aber das ist dann ganz alleine meine eigene Erinnerung – und das ist schön.
In diesem Sinn, lieber Schlachthof Wels: Happy Birthday zum 40er! Es ist schön, dass es dich gibt. Achten wir gemeinsam darauf, dass du nicht nur weitere 40 Jahre, sondern viel, viel länger bestehen wirst. Und auch wenn alte Säcke wie ich meinen, dass früher alles viel besser war: Bleib nicht wie du bist, sondern entwickle dich immer weiter – so, wie du und die vielen Freiwilligen, die ihr Herzblut reinstecken, es für gut halten. Einzig: Bleib immer offen für das, was passiert, und bleib immer auch klar und deutlich in deiner Haltung. In einer vermeintlich blauen Musterstadt umso wichtiger.